Keynote Speaker halten keine großen Reden, sie erzählen Geschichten

Keynote Speaker halten keine großen Reden, sie erzählen Geschichten

„Ich hatte bei Ihnen an einem Seminar zur freien Rede teilgenommen und nun hat mein Chef entschieden, dass ich als Keynote Speaker zum Thema XYZ sprechen muss. Haben Sie vielleicht einen Rat, wie ich das machen soll?“ (Peter R.)

Sehr geehrter Herr R., auch bei mir gab es einmal so einen ersten Auftrag. Das ist schon lange her und da war mir im Übrigen der Begriff des Keynote Speakers noch gar nicht bekannt. Damals nannte man das eine „Anmoderation“ und die gewünschte Länge betrug 30 Minuten. Ich berichte Ihnen jetzt nicht, was ich damals machte oder nicht machte, was ich sprach oder ob das falsch war. Ich darf Ihnen nur mit auf den Weg geben: Keynote Speaker halten keine großen Reden, sie erzählen Geschichten. Hier ein Beispiel aus meiner jüngeren Vergangenheit.

Ein Professor der Friedrich-Schiller-Universität Jena hatte eine Veranstaltung zu seinem Fachthema „KI / Künstliche Intelligenz“ organisiert und bat mich die Keynote, also den Grundgedanken, vorzutragen. Hier war als Länge ein Zeitfenster von 30 bis 40 Minuten gewünscht. Ich hatte mich gut darauf vorbereitet, hatte mich mit Ray Kurzweil befasst, einem genialen Entwickler für elektronische Musikinstrumente (dessen sündhaft teures Kurzweil 250 Computerkeyboard ich einst besaß) und der später zu einen Experten für KI reifte. Ich selbst arbeite ja schon seit Jahren im musikalischen Bereich mit KI-Software der Firmen XXX, XXX und XXXZ und wollte über deren grundsätzliche Ansätze und Unterschiede zu herkömmlich gestalteter Musik berichten, hatte also einen genauen Plan, was ich sagen wollte … und den habe ich nach einer Eingebung kurz bevor ich die Bühne betrat, komplett verworfen und stattdessen erst einmal über meinen Ficus-Baum im Büro berichtet. Das ging in etwa so (ich schmücke es ein klein wenig aus, aber wie immer gilt natürlich das gesprochene Wort):

Rainer W. Sauer 2010 an einem Kurzweil 250 Computer Keyboard, das ihm Gershon Kingsley („Popcorn“) verkauft hatte. – Foto: MediaPool Jena

„Ich hatte in meinen knapp fünf Jahrzehnten Büroarbeit öfters einen solchen Birkenbaum betreuen dürfen. Und was soll ich Ihnen sagen: nicht jeder davon hat seine natürliche Lebenserwartung erreicht. Selbstverständlich habe ich, wie es einem manche Menschen in solchen Fällen empfehlen, mit den Pflanzen geredet. War in der Regel eine recht einseitige Sache, da ich den trockenen Humor meines Schützlings nicht verstanden habe. Also spendierte ich ihm einen Cocktail aus Wasser, speziellem Ficus Benjamina Dünger und viel gutem Zureden. Trotzdem hat es am Ende alles wenig genutzt, denn entweder entblätterte sich vor mir oder wir gingen den Weg alles nicht-menschlich Irdischen gemeinsam: den zum Wertstoffhof. Seis drum.

Also legte ich mir irgendwann einen künstlichen Ficus zu. Der war nicht wirklich preistwert, aber da ich selten etwas zum vollen Preis erwerbe, habe ich ihn am Ende für knapp 200 Euro erstanden. Im Büro macht er oder sie – ich weiß es nicht genau – sich gut. Perfekte chinesische Handarbeit. Vor Original kaum zu unterscheiden. Wunderbar. Und er brauchte nicht gegossen zu werden, brauche mich nicht als Kümmerer, was ja mein grundsätzliches Ziel gewesen war. Eine kleine Eskalation gab es zu Anfang, als unsere wunderbare Reinemachefrau das tat, was ihr Chef nicht gerne sieht, nämlich sich um mein Büro intensiver zu kümmern, als es ihr eng gestrickter Zeitplan vorsah. Also: Die Dame versorgte die Deko-Pflanze mit ordentlich Wasser – ich denke mal, weil sie mich kannte. Ich konnte es ihr nur schwer ausreden, denn sie verstand mich nicht, als ich ihr klarmachte, dass dieser Ficus keinerlei Wasser benötigt. Vielleicht war auch mein Bulgarisch nicht so gut wie ich dachte.

Ein künstlicher Ficus-Baum verliert Blätter. – Foto: Rainer W. Sauer

Unabhängig davon fing der Kunststoffbaum aus Panyu, Provinz Guangdon, eines Tages an, seine Blätter zu verlieren. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Mein künstlicher Ficus, der langlebiger konzipiert worden war, als ein echter, verlor mit der Zeit immer mehr Blätter. Das wiederum brachte mich als zertifizierter Über-den-Tellerrand-Denker in schwere Konflikte bezüglich meines Vertrauens in künstliche Intelligenz. Da verlassen wir uns doch auch darauf, ja wir müssen uns sogar darauf verlassen, dass hier nicht mit der Zeit essentielle Dinge verloren gehen. (…)“ – Und so brach ich das Eis in den ersten Minuten des Keynote-Vortrags.

Verstehen Sie nun, welchen Rat ich Ihnen gebe? Hinterfragen Sie Ihr Thema, finden sie Bezugspunkte zu Dingen aus Ihrem Leben, die vergleichbar sind, würzen Sie das Ganze mit einer gehörigen Prise Selbstironie und Humor, zeigen Sie Visionen auf und erzählen dann Ihre Geschichte. Das wollen die Leute hören, das interessiert sie. Nicht, wer wann was und weshalb erfunden oder herausgefunden hat. Das wissen die schon selber. Aber Ihre Geschichte, die haben Sie noch nie zuvor gehört.

Aber natürlich gehört auch stets eine gute Vorbereitung zu jedem Vortrag mit dazu. Und sprechen Sie die Zeitspanne ab, in der Sie die Keynote vortragen. Manchmal soll sie nur zwanzig Minuten dauern, ein ander Mal eine Stunde.

In diesem Sinne

gez.

Rainer Sauer, Jena

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