„Eigentlich sollte die Presse nicht nur über Wutbürger berichten sondern auch ein klein wenig über unsere Arbeit in der Verwaltung. Aber, meine Güte, heute hat da kaum noch jemand Zeit für eine 2-Quellen-Recherche. Also sind wir im Umlegungsverfahren, trotz dem wir im Gemeinwohl handeln, die Bösen. Ich fände es ganz interessant, wenn mal die Motive der Protestler kritisch bewertet würden, aber dafür interessiert sich niemand. Da hilft dann wohl auch kein Coaching mehr – oder?“ (Steffen D.)
Hinweis: Dies war kein Brief oder eine E-Mail an mich sondern ein persönliches Gespräch am Rande eines Seminars, das ich in Briefform umgewandelt habe!
Sehr geehrter Herr D., das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat 2012/2013 ein großangelegtes Projekt über Protest-Bewegungen in Deutschland durchgeführt (zu dem auch ein Buch erschienen ist). Hierdurch entstand ein tiefer Einblick in die damals aktuelle Protestlandschaft. Schnell zusammen gefasst kann man sagen:
1.) Bürgerengagement kostet Zeit, 2.) 70 Prozent der befragten Aktiven sind männlich. Daher verwundert es kaum, dass sich unter den Befragten auffällig viele Hausmänner, Teilzeitangestellte, Freiberufler, Pastoren, Schüler, Lehrer und – ganz besonders – Vorruheständler, Rentner, Pensionäre befanden. 3.) Die Erziehung von Kindern erschwert ein Engagement in Protestgruppen, weshalb sich der Protest überwiegend aus der Gemeinschaft der Kinderlosen rekrutiert. 4.) Der demografische Wandel sorgt(e) außerdem dafür, dass sich in den letzten Jahren Hunderttausende hochmotivierter und rüstiger Rentner mit ihren Erinnerungen und dem Wissen der in den 1960er- und1970er-Jahren gesammelten Protesterfahrungen in den öffentlichen Widerspruch begaben. 5.) Einzig Protestinitiativen im Schul- und Bildungsbereich sind von Frauen (= rund 75 %) geprägt.
Insgesamt hatten knapp 60 % der vom Göttinger Institut für Demokratieforschung Befragten einen Studienabschluss oder eine Promotion. Heißt auch: Die sog. ‚kleinen Leute‘ sind in den großen wie kleinen Protestbewegungen kaum an vorderster Front vertreten. Ob für oder gegen Windräder, ob für oder gegen Impf-Priorisierung, ob für oder gegen Ihr Umlegungsverfahren – auf beiden Seiten bestimmen bürgerliche Protestierende das Geschehen. Soviel zur Soziologie. Und was Ihre Frage betrifft, kann ich nur einen Tipp geben:
Reden Sie mit der Presse, „knöpfen“ Sie sich (das ist nett gemeint) den oder die betreffenden Journalisten vor, liefern Sie wichtige Informationen, Pläne etc. und versuchen Sie einen Ihrer Arbeit positiv gewogenen Artikel zu erhalten. Machen und betreiben Sie in Absprache mit Ihren Vorgesetzeten einen Blog für die Bürger zu deren Information, den Sie frei nutzen können um ihre Verwaltungs-Position ungefiltert nach außen zu bringen. Organisieren Sie eine öffentliche Veranstaltung deren Regeln Sie vorgeben, die jedoch die Gegenseite mit einbezieht. (…)
In diesem Sinne
gez.
Rainer Sauer, Jena
Schreibe einen Kommentar