Auftritt von VELVET UNIVERSE im Musikclub Schlachthof – Foto: privat

Im Januar 2023 sprach Stefan Bachmann für OF-Online mit Rainer W. Sauer. Hier ein Auschnitt aus dem Interview, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.


OF-ONLINE: Herr Sauer, „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der anderen trennen.“ sinniert Faust in Goethes Drama. Auch in Ihnen scheinen zwei sich widersprechende Seelen zu wohnen: die des Verwaltungsexperten und Trainers und eine tief musikalische. Wie passt das zusammen?

SAUER: Da antworte ich auch mit einem Zitat. Bach soll gesagt haben „Musik ist alles und alles ist Musik.“ Für mich war und ist Musik ein Ausgleich für meine Arbeit. Das impliziert gleich zwei Dinge. Erstens ist Musik nicht mein Brotwerwerb und zweitens ist das Musikmachen für mich keine Arbeit sondern etwas Besonderes. Interessanterweise begannen beide Dinge in meinem Leben nahezu zeitgleich. Von meinem ersten beiden Monatsgehältern kaufte ich mir 1975 eine Gitarre, einen Verstärker und eine Tonbandmaschine.

Sie kommen aus Offenbach am Main und begannen ihren beruflichen Weg bei der hiesigen Stadtverwaltung. Musikalisch waren sie mit dem legendären Treffpunkt Schlachthof verbunden. In dessen Namen erscheint in diesem und im kommenden Jahr eine musikalische Hommage, die sie zusammengestellt haben und auch die Tonaufnahmen stammen von Ihnen. Wie kann man sich den Musikclub Schlachthof vorstellen?

In der Mitte der 1970er Jahre trafen sich in Offenbach Musiker aller Couleur am alten Schlachthofgelände. Gleich neben der Schlachthalle auf dem Buchhügel wurde geprobt, über Instrumente diskutiert, sich ausgetauscht. Das war wie ein kleines alternatives Musiker-Kollektiv, ein Musikclub mit den Musolff-Brüdern, Thomas Pfeiffer, Oskar Walter, Micha Krämer, Thomas Ortwein und vielen mehr. MC Schlachthof-Bands wie Gamblin‘ Brain, Crystal Voyager, Schall & Rauch, Schlüpfer, Unicorn oder Wendigo spielten damals initiiert von „Kaiser Ludo“ im Hof des Rumpenheimer Schlosses, im Isenburger Schloss, dem Club 32, auf der „Zweiten Ebene“ oder der Rosenhöhe.

Für mich war es seinerzeit schwer, aufgenommen zu werden, denn ich hatte da noch keine eigene Band. Aber ich wollte unbedingt mitmachen und habe sehr darum gekämpft, dass ich einen Clubausweis bekam – am Ende war es die Nummer 116. Zuerst habe ich mich quasi als Tonmeister verdingt, lud mein Grundig Tonbandgerät zuerst aufs Fahrrad, später dann in meinem VW Käfer. So fuhr ich zu den Auftritten und habe bis Mitte 1977 alles live mitgeschnitten, was ich aufnehmen konnte. Daraus habe ich jetzt nach beinahe 50 Jahren ein „Best Of“ zusammengeschnitten und das sind die „Schlachthof Szenen“, die nun in drei Jahresscheiben erscheinen werden.

Sie sagten, dass Musik ihr Ausgleich von der Arbeit in der Verwaltung gewesen sei. Wie darf man sich das vorstellen?

Bei fast jedem jungen Menschen stellt populäre Musik den Einstieg in die Pubertät dar. Man konsumierte sie in den 1970ern über das Radio, tauschte Schallplatten und in meinem Fall kam auch noch die Audiothek der Stadtbücherei hinzu. Das erweiterte den Horizont, man entwickelte Vorlieben und wurde „Fan von …“. Aber mit Taschengeld lässt sich das nicht so richtig ausleben. Erst wenn man arbeiten geht und eigenes Geld verdient, ändert sich das. Nun wird die Arbeit in Verwaltungen oft als trocken und wenig aufregend beschrieben. Aber das stimmt ganz. Wer wie ich beispielsweise ein Sachgebiet beim Sozialamt leitet oder im Zentralen Ermitlungsdienst des Ordnungsamtes tätig ist, weiß, wie anstrengend und anspruchsvoll so etwas sein kann. Manche griffen damals zum Alkohol als Ausgleich, bei mir war es das Musikmachen. Musik war und ist für mich eine Tür zum Kopf.

Wer Sie als Verwaltungsexperte wahrnimmt, als Trainer und Coach, der bemerkt, dass Sie für ihre Profession „brennen“ und sich da voll engagieren. In der Musik scheint das ebenso zu sein. Wie kommt das?

Nehmen wir mal die Liveaufnahmen aus den 70ern. Als jemand, der den Anspruch hat, alles immer so ordentlich wie möglich zu machen, habe ich die Auftritte damals meistens mit drei, manchmal sogar mir vier Mikros aufgezeichnet und live abgemischt. Dabei habe ich dann auch vieles gelernt, was später hilfreich war als Musiker, Produzent oder Rundfunkmoderator beim hr. Vielleicht trifft es die Bezeichnung „Elektroakustik und Klanggestaltung“ am besten. Dadurch entstand auch mein Faible für selbstentwickelte experimentelle Klangerzeuger und später das Programmieren von Klang-Software am Computer.

Rundbau des Hessischen Rundfunks in der Bertramstraße 8 in Frankfurt am Main – Foto: hr

Sie sprachen einmal davon, bei Liveveranstaltungen sei es möglich, das Publikum zu dirigieren. Welche Rolle spielen musikalische Elemente bei ihren Seminaren und Verwaltungstrainings?

Es gibt für mich, neben dem direkten Einsatz von Musik, zwei Aspekte. Zum einen ist Klang für mich zunächst ein physikalisches Objekt. Nehmen wir einmal eine Amsel. Rhythmus, Klangfarbe, Tonfolge des Gesangs kann man auch unabhängig vom Vogel hören und nur seine Bestandteile bewerten. Wenn ich beispielsweise eine Informationsveranstaltung leite, brauche ich die Gäste gar nicht anzusehen und kann mir trotzdem aus den einzelnen Geräuschfarben ein Bild zusammensetzen. Sind die Leute aufgeregt, aufmerksam, wollen sie vielleicht stören oder reden sie viel untereinander? Dann kann ich entscheiden, wie ich mit dem Publikum arbeite – ich nenne das eine „Intervention“. Das ist dann der zweite Aspekt. Ich möchte ja, beispielsweise auch bei einer Keynote, dass das Publikum in meinen Vortrag, in meine Gedanken, eintaucht und sich treiben lassen kann. Es ist wie in der Musik: hat man ein Gehör für das Alltägliche, kann man dirigieren.

Wie oder was dirigiert man?

Das, was im Kopf von Menschen vorgeht. Man gibt ihnen Denkoptionen und einen Deutungsspielraum. Das macht freies Assoziieren möglich. Male ich Dreiecke nebeneinander und nenne das Bild „Messners Traum“, dann sieht der Betrachter vermutlich immer Berge darin. Sage ich, es sei „Cheops Traum“, dann sieht er Pyramiden. Kennt man aber weder Reinhold Messner noch Pharao Cheops, dann betrachtet man nur Dreiecke, denn ohne die nötigen Vorinformationen oder das nötige Hintergrundwissen, fehlt die Grundlage für das, was ein Trainer, Coach oder Dozent vermitteln will. Darüber hinaus hat das Gehirn bei Kindern sowieso aber auch bei älteren Menschen immer Spaß an Informationen, die es noch nicht kennt. Also bringen einem Zuhörer trockene Informationen des Vortragenden selten Freude und schaffen eher Verdruss. Vermischt man die zu vermittelnde Sache aber mit Humor, nimmt man das Thema oder sich selbst auch mal nicht ganz so ernst, bleiben bestimmte Infos im Kopf hängen, docken an bereits vorhandenes Wissen an und das Publikum erinnert sich lange daran.

Klingt nach Zeit, die man in einen Vortrag oder eine Veranstaltung investieren muss. Wie umfangreich kann das werden?

Alles, was nach außen leicht wirkt, ist harte Arbeit. Auch ein Stand-Up-Comedian geht micht einfach auf die Bühne und legt los, selbst wenn man das glaubt. Ohne Konzept, ohne Fundament, ohne „Steine im Fluss“, wie es Vera F. Birkenbihl genannt hat, ohne Abläufe zu üben, funktioniert keine Veranstaltung. Vorbereitungen für bestimmte Events dauern bei mir oft Monate und ein guter Vortrag, den man in freier Rede halten möchte, ist auch nicht in wenigen Stunden geschrieben. Ich ändere immer wieder mal einzelne Passagen und Konzeptteile ab. Ohne dass man seine Arbeit ganz allgemein betrachtet regelmäßig auf den Prüfstand stellt und hinterfragt, gibt es keine Weiterentwicklung. Wenn ich mich aber offen und mit wachen Augen durch die Welt bewege, gibt es für mich an jeden Tag so viele interessante Dinge und Themen zu entdecken, die man an andere Menschen weitergeben kann, wofür die dann wiederum dankbar sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ich habe zu danken.